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Der Ton macht die Musik

„Mehr als die Schönheit selbst bezaubert die liebliche Stimme“, so wusste schon Johann Gottfried von Herder. Tatsächlich: Unsere Stimme ist ein mächtiges Instrument. Mit ihr beeinflussen wir, wie wir auf andere wirken, ob wir sie überzeugen, uns durchsetzen, ihnen sympathisch werden oder nicht.

Doch die meisten Menschen konzentrieren sich zu sehr auf das, was sie sagen – und vergessen die Kraft des Klangs ihrer Stimme. Studien des Sprachforschers Walter Sendlmeier zeigen, dass selbst das Image großer Konzerne vom Umgangston ihrer Vorstandschefs beeinflusst wird.

Ob wir sprechen, singen, schreien, seufzen oder stöhnen – das menschliche Gehirn verarbeitet jedes artikulierte Wort bereits nach 140 Millisekunden. Über die Stimme bekommen wir blitzschnell Zugang zu den Gefühlen unseres Gegenübers. Die Stimme macht die soziale Herkunft des Gesprächspartners ebenso hörbar wie dessen Bildungsgrad, Alter und emotionalen Zustand.

Verantwortlich für unsere Stimme sind allerdings nicht nur individuelle Sprachmelodie, Sprechtempo, Dehnungen und verschieden hohe Grundtöne, sondern auch die sogenannten Obertöne. Auf diese Weise entsteht für jeden von uns ein einzigartiger Klang, eine Art vokaler Fingerabdruck, den sich zum Beispiel Polizeiermittler regelmäßig zunutze machen, um Telefonerpresser zu überführen.

Wenn wir uns weder auf den Wahrheitsgehalt von Worten noch die Beweiskraft von Bildern verlassen können, bekommt die Stimme ein völlig neues Gewicht. Sie ist nicht nur eindeutiges Erkennungsmerkmal, sondern nahezu unverfälschlich und damit eine ebenso authentische wie „intime Visitenkarte“ der Persönlichkeit, sagt der Stimmforscher Hartwig Eckert. Die Sprache ist ein Verräter. Sie entlarvt die Gemütslage des Sprechers ebenso wie dessen Absichten.

Das limbische System, die Schaltzentrale für Gefühle, wirkt unmittelbar auf sämtliche Zwischentöne: Ist jemand traurig, erschlafft seine Sprechmuskulatur, die Stimmbänder – medizinisch korrekt Stimmlippen genannt – reagieren verzögert und vibrieren sanfter. Prompt klingt die Stimme tiefer, kraftloser, undeutlicher. Desinteresse oder Frust machen die Stimme flach und monoton, der Sprachmelodie fehlt Modulation. Und wer gestresst oder nervös ist, klingt gepresst und dünn, dem Sprecher schnürt es sprichwörtlich die Kehle zu.

Diese Stimm-Lippenbekenntnisse sind global gleich und unabhängig vom Kulturkreis. Das macht sie für die internationale Kommunikation universell interpretierbar – aber auch für die Forschung interessant: So ließ der Psychologe Klaus Scherer Schauspieler inhaltlich sinnlose Sätze aus Elementen verschiedener Sprachen auf Band sprechen und dudelte das Kauderwelsch Menschen diverser Nationen vor. Obwohl keiner ein Wort verstand, erkannten die Zuhörer, ob die Mimen erfreut, verärgert, traurig oder ängstlich waren.

Seit einiger Zeit sind Sprachwissenschaftler sogar in der Lage, Erkrankungen des Nervensystems zu diagnostizieren. Tatsächlich schlagen viele neurologische Krankheiten zuerst auf die Feinmuskulatur durch und kündigen sich so in der sensiblen Mechanik des Kehlkopfes an. Als Beispiele gelten hier Krankheiten wie Parkinson, Autismus und Schizophrenie.

 

Derlei Erkenntnisse könnten schon bald nicht nur Patienten zugute kommen – dank neuer Software. Die Firma Gold-Gate hat hierzu bereits eine solche Software entwickelt. Die digitale Spracherkennung basiert dabei auf der Entdeckung der sogenannten Universal- oder Metasprache. Jede Stimme besitzt kaum veränderbare emotionale Merkmale, bei denen es egal ist, welche Sprache die Menschen sprechen.

Man muss sich das so vorstellen: jede Emotion aktiviert in unserem Gehirn spezifische Neuronen, die Impulse in einem spezifischen Rhythmus ausstrahlen und deren Frequenz sich auf die Stimme überträgt. Diese emotionalen Muster können menschliche Ohren zwar hören, Computer aber noch viel genauer interpretieren.

Was davon heute schon möglich ist, kann jeder im Internet ausprobieren: auf der von Gold-Gate betriebenen Website areyoutalking2me.com können Interessierte ihre Stimme kostenlos analysieren lassen – etwa, um herauszufinden, wie sie auf andere wirken, warum ihre Präsentationen nicht ankommen oder warum sie bei der letzten Gehaltsverhandlung einfach nicht überzeugen konnten. Das Programm wurde bereits an vielen zehntausend Probanden getestet und lernt mit jedem weiteren Online-Test dazu.

Die Stimme ist Spiegel der Persönlichkeit – gleichzeitig beeinflusst sie aber auch unseren Charakter. Eine junge, engagierte Kollegin wird womöglich deshalb immer wieder übersehen und überhört, weil ihre Stimme „piepsig“ klingt und damit bei Kollegen Stereotype wie „unsicher“, oder „inkompetent“ auslöst. Weil sie das spürt, wird sie erst recht unsicher, wodurch sich die anderen in ihrer Einschätzung bestätigt sehen. Die Spirale dreht sich weiter…

Nun kann besagte Mitarbeiterin versuchen, ihr Verhalten, ihre Körpersprache und Mimik zu verbessern. Sprachwissenschaftler sind jedoch davon überzeugt, dass sich der Imageerfolg schneller einstellt, wenn die Betroffene zuerst an ihrer Stimme arbeitet. Spräche sie etwa fester und sonorer, nähmen die Kollegen mehrheitlich an, sie wäre souverän und kompetent. Als Paradebeispiel möchte ich hier unsere Bundeskanzlerin nennen, deren Imageentwicklung und Wirkung in einer der Juliausgaben der Zeitung Die Zeit analysiert und beschrieben wurde.

Der Ton macht eben nicht nur die Musik – er verändert auch das Verhalten. In die eine wie in die andere Richtung: So nutzen zum Beispiel Männer, die im Geschäftsleben Autorität dokumentieren wollen, meist nur zwei bis drei Töne ihres Repertoires. Dadurch entsteht beim Zuhörer zwar ein monotoner, ausdrucksarmer Eindruck. Zugleich löst der aber die Klischees „objektiv“ und „informativ“ aus.

Der Sprachwissenschaftler Hartwig Eckert ist davon überzeugt: „Wer sich selbst wichtig nimmt, bekommt automatisch eine festere Stimme – und umgekehrt.“